Von Elisabeth Einecke-Klövekorn
Juli Zehs 2004 erschienener Roman „Spieltrieb" wurde ein Bestseller. Er erzählt von Jugendlichen, die planvoll die gesellschaftlichen Spielregeln unterlaufen und als „Urenkel der Nihilisten" die konventionellen Fronten zwischen Gut und Böse mit selbstbewusstem Verstand aushebeln. Im Zentrum steht die hochintelligente Schülerin Ada. Eine Außenseiterin, die sofort das Interesse des neuen Mitschülers Alev weckt. Er ist attraktiv, klug und unverschämt. Ada erliegt seinem Spieltrieb und wird seine Partnerin bei einem perfiden Spiel um Sex, Macht und Erpressung. Das zufällige Opfer der beiden ist ihr aus Polen stammender Deutschlehrer Smutek.
„Überwältigend bildhaft, mit szenischem Witz und psychologischem Feingefühl", schrieb der „Spiegel" über den Roman. Das szenische Potenzial nutzte Bernhard Studlar für seine Bühnenfassung, die 2006 am Hamburger Deutschen Schauspielhaus uraufgeführt wurde. Das Bonner „Theater im Hörsaal" unter der Leitung des Regisseurs Franz-Josef Becker, das sich mit heiklen Stücken wie „Täter" von Thomas Jonigk (2005) und „Hasenfratz" von Martin Baucks (2006) einen Namen gemacht hat, präsentiert seinen „Spieltrieb" ab heute im Hörsaal der Bonner Universitäts-Kinderklinik.
Die Autorin Juli Zeh wurde 1974 in Bonn geboren. Nach dem Abitur an der Bad Godesberger Otto-Kühne-Schule studierte sie - gefördert mit einem Hochbegabten-Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes - in Passau und Leipzig Jura. Ihr Erstes Juristisches Staatsexamen absolvierte sie 1998 als Jahrgangsbeste. Vor dem Zweiten Staatsexamen 2003 folgten noch ein Diplom am Leipziger Deutschen Literaturinstitut und ein Magister in Europäischem Recht. Arbeitsaufenthalte führten sie u. a. nach New York, Krakau, Zagreb und Sarajewo. Als erfolgreiche Schriftstellerin debütierte die Völkerrechts-Expertin Juli Zeh 2001 mit dem Roman „Adler und Engel". Sie ist Autorin mehrerer Romane und Erzählungen und schrieb zahlreiche Essays für renommierte Zeitungen und Zeitschriften. Neben etlichen Auszeichnungen erhielt sie 2005 den Literaturpreis der Bonner Lesegesellschaft. 2008 erschien ihr erstes Kinderbuch „Das Land der Menschen". Ihr erstes Drama „Corpus Delicti" wurde 2007 bei der Ruhr-Triennale uraufgeführt. Kurz vor der Bonner Premiere von „Spieltrieb" (in der Kölner Halle Kalk wird Jette Steckel das Stück im April 2009 inszenieren) beantwortete sie dazu einige Fragen.
E.-K.: Sie haben vor einem Jahr als Dramatikerin debütiert. Warum haben Sie „Spieltrieb" nicht selbst für die Bühne bearbeitet?
J.Z.: Bei meinen geringen Erfahrungen mit der Theaterpraxis hätte ich das überhaupt nicht gewagt. Einen eigenen erzählerisch entwickelten Stoff in ein anderes Medium zu transportieren, ist für mich kaum zu schaffen. Ich habe gleichzeitig zu viel Nähe und zu viel Distanz. Die Figuren und deren Welt brauchen einen anderen Blick, damit sie sich in der konkreten Bühnensituation behaupten können.
E.-K.: Die Hamburger Uraufführung wurde von der Kritik unterschiedlich beurteilt. Wie war Ihr eigener Eindruck?
J.Z: Der Versuch, einzelne Prosapassagen einzubauen und den erzählerischen Gestus beizubehalten, gefiel mir sehr gut. Die naturalistischen Sex-Szenen hatten aber zu hohe Präsenz. Es gibt ein klares narratives Gesetz: Sex und Gewalt selbst erzählen überhaupt nichts. Für die Figuren meines Romans ist Sex nur ein Mittel zum Zweck. Es geht dabei um ein mentales Übergangsstadium, weniger um konkrete Körperlichkeit.
E.-K.: In Ihrem Roman arbeiten Sie mit einem komplexen intertextuellen Anspielungsgeflecht, raffinierten Metaphern und ironischen Perspektivwechseln. Kann das im Theater gezeigt werden?
J.Z.: In guten Momenten selbstverständlich. Jede Inszenierung ist ein eigenständiges Produkt, das mit meinen eigenen Vorstellungen getrost auch kollidieren darf. Meine Bilder sind sprachliche Erfindungen und müssen nicht eins zu eins abgebildet werden.
E.-K.: In der „Zeit" schrieben Sie 2006 ein flammendes Plädoyer gegen den „Wirklichkeitswahn der Unterhaltungsindustrie". Ihr Roman beschreibt etliche real identifizierbare Orte in Bonn. Bei dem fiktiven Ernst-Bloch-Gymnasium sind zahlreiche Realitätspartikel Ihrer ehemaligen Schule erkennbar. Fürchten Sie, dass bei einer Theateraufführung in Bonn die ‚Authentizität' eine Rolle spielen wird?
J.Z.: Nein. Fragen nach dem ‚Selbst-Erlebten' meiner Geschichten werden mir überall gestellt. Obwohl „Spieltrieb" ganz präzise zeitgeschichtliche Elemente vom Beginn des 21. Jahrhunderts enthält, könnte die Handlung auch am Anfang des 20. Jahrhunderts angesiedelt werden. Literatur besteht aus dem Zusammenspiel zwischen realen Erfahrungen und purer Fiktion. Wirklich interessant ist nur der Zwischenraum, den allein der Autor kennt und in den er die Rezipienten - egal ob imBuch oder im Theater - einlädt.
E.-K.: Wie haben Sie die Bonner Theatergruppe kennen gelernt?
J.Z: Der Regisseur sprach mich bei einer Lesung im Rheinischen Landesmuseum an. Ich stellte den Kontakt zum Verlag und zu meiner ehemaligen Schule her, denn Projekte mit Jugendlichen unterstütze ich immer gern. „Spieltrieb" habe ich mittlerweile sowohl an professionellen Bühnen wie in reinen Schultheater-Aufführungen gesehen. Die Bonner Mischung von theatererfahrenen Jugendlichen und erwachsenen Bühnenprofis finde ich sehr spannend. Die von Ihnen beschriebene Raumsituation in der Uni-Kinderklinik kenne ich leider noch nicht. Hoffentlich finde ich einen Termin, an dem ich mir die Produktion in Bonn anschauen kann.